Unsichtbare Hürden in der Führung und Organisation
Liebe Leserinnen und Leser,
in einer dynamischen Arbeitswelt, in der Wandel zur ständigen Herausforderung wird, spielen psychosoziale Abwehrmechanismen eine oft unterschätzte Rolle. Diese unbewussten Strategien helfen Individuen und Gruppen, Stress zu bewältigen, können jedoch auch den Fortschritt behindern. Besonders im Führungsalltag sind sie von großer Bedeutung, da sie nicht nur das Verhalten der Führungskraft selbst, sondern auch die Dynamik im Team beeinflussen können.
Dieser Beitrag ist der zweite Artikel im Rahmen meiner Promotion. Ich beleuchte, wie diese unbewussten Mechanismen im Arbeitsalltag wirken. Der Fokus liegt darauf, wie Sie sie erkennen und konstruktiv nutzen können, um ein besseres Arbeitsklima und effektive Zusammenarbeit zu fördern. |
Was sind psychosoziale Abwehrmechanismen?
Psychosoziale Abwehrmechanismen sind meist unbewusste Strategien, die Individuen vor ängstigenden oder unangenehmen Realitäten schützen sollen. Sie reduzieren kurzfristig Stress und bewahren das psychologische Gleichgewicht.
Ein verbreitetes Beispiel ist die Projektion: Hierbei werden eigene Ängste oder Konflikte auf andere übertragen. Im beruflichen Kontext könnte eine Führungskraft, die sich überfordert fühlt, ihre Unsicherheit auf Mitarbeitende projizieren und ihnen mangelnde Kompetenz vorwerfen. Solche Dynamiken können Konflikte und Missverständnisse verstärken.
Funktionale und dysfunktionale Abwehrmechanismen
Nicht alle Abwehrmechanismen sind per se schädlich. Funktionale Mechanismen können psychologische Stabilität fördern, ohne die Realität zu verzerren. Beispiele sind:
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Humor
Eine Führungskraft, die eine angespannte Situation mit einer Prise Humor entschärft, kann so Stress abbauen und die Arbeitsatmosphäre verbessern.
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Altruismus
Das Bedürfnis, anderen zu helfen, kann Ängste und Spannungen innerhalb eines Teams verringern.
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Sublimierung
Primitive Bedürfnisse werden in sozial akzeptabler Form ausgelebt, etwa indem belastende Emotionen (z.B. Wut und Frustration) im Sport kanalisiert werden.
Im Gegensatz dazu führen dysfunktionale Mechanismen wie Verleugnung oder Verdrängung langfristig zu Problemen. Eine Führungskraft, die etwa die Herausforderungen eines Projekts ignoriert (Verleugnung), verzögert wichtige Entscheidungen und riskiert damit ein Scheitern.
Weitere Beispiele für psychosoziale Abwehrmechanismen aus dem Führungsalltag
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Projektion
Eine Führungskraft fühlt sich von der eigenen Leitung unter Druck gesetzt und projiziert diesen Druck auf ihr Team. Aussagen wie "Ihr seid nicht engagiert genug" können dabei Ausdruck ihrer eigenen Ängste sein. Ein bewusster Umgang mit diesen Gefühlen und eine offene Kommunikation können helfen, solche Missverständnisse zu vermeiden.
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Rationalisierung
Ein Teammitglied hat einen Fehler gemacht, und die Führungskraft rationalisiert: “Das war ohnehin nicht wichtig”. Diese Haltung kann kurzfristig das Konfliktpotenzial reduzieren, lässt jedoch die Chance ungenutzt, aus dem Fehler zu lernen. Im Führungsalltag sollte darauf geachtet werden, konstruktive Lösungen zu suchen, statt Probleme zu bagatellisieren.
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Vermeidung
Eine schwierige Entscheidung wird aufgeschoben, weil sie unangenehme Konflikte mit sich bringen könnte. Dieses Verhalten, häufig ein Zeichen von Vermeidung, kann das Vertrauen des Teams in die Führungskraft untergraben. Hier hilft es, Entscheidungen transparent zu kommunizieren und die Unterstützung des Teams einzubeziehen.
Strategien zur Überwindung von Abwehrmechanismen
1. Selbstreflexion und Feedback
Regelmäßige Selbstreflexion ist der erste Schritt, um eigene Abwehrmechanismen zu erkennen. Feedback von Kolleg:innen oder externen Coaches kann zusätzlich dabei helfen, unbewusste Muster aufzudecken.
2. Mentoring und Supervision
Gezielte Unterstützung durch erfahrene Kolleg:innen bietet Raum, um schwierige Situationen zu reflektieren und Lösungsstrategien zu entwickeln. Ein Mentor kann zudem als neutrale Instanz fungieren, die Verhaltensmuster objektiv hinterfragt.
3. Förderung einer offenen Teamkultur
Eine Kultur, in der Fehler als Lernchancen betrachtet werden, reduziert die Notwendigkeit für dysfunktionale Abwehrmechanismen. Führungskräfte sollten hier mit gutem Beispiel vorangehen, indem sie ihre eigenen Fehler in angemessener Form transparent machen.
Fazit
Psychosoziale Abwehrmechanismen sind ein unvermeidlicher Bestandteil des Arbeitslebens, können jedoch konstruktiv genutzt werden. Führungskräfte, die ihre eigenen Mechanismen erkennen und verstehen, legen den Grundstein für ein besseres Arbeitsklima und effektivere Zusammenarbeit. Ein bewusster Umgang mit diesen Prozessen fördert nicht nur das individuelle Wachstum, sondern auch die langfristige Entwicklung von Teams und Organisationen.
Ihr Theo Zichel
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Quellen:
- Bion, W. R. (1962). Learning from experience.
- Bion, W. R. (1961). Experiences in groups: And other papers.
- Cramer, P. (2006). Protecting the self: Defense mechanisms in action.
- Freud, A. (2018). The ego and the mechanisms of defence.
- Gould, L. J., Stapley, L. F., & Stein, M. (2006). The systems psychodynamics of organizations: Integrating the group relations approach, psychoanalytic, and open systems perspectives.
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