Ein Drahtseilakt für Führungskräfte
Liebe Leserinnen und Leser,
die Büro-Debatte ist allgegenwärtig – und sie wird so emotional geführt wie selten zuvor. Während einige Unternehmen ihre Mitarbeitenden mit kostenlosem Kaffee, „Collaboration Days“ und netten Worten zurückholen wollen, setzen andere auf klare Regeln:
„Ab Montag wieder alle vor Ort!“
Doch ist das ein wirksamer wie sinnvoller Weg? Unternehmen riskieren damit, wertvolle Talente zu verlieren, die längst erkannt haben, dass Produktivität nicht von der Büroadresse abhängt.
Viele Führungskräfte betonen, dass Präsenz im Büro essenziell für Innovation, Teamgeist und Zusammenarbeit sei. Doch für viele Mitarbeitende bedeutet der Büroalltag vor allem Zeit im Stau oder in überfüllten Zügen, Unterbrechungen durch Smalltalk und ständiges Suchen nach einem ruhigen Meetingraum. Es überrascht daher nicht, dass sich viele gegen eine verpflichtende Rückkehr ins Büro – sogenannte Return-to-Office (RTO)-Regeln – wehren.
Wie im Beispiel des Werberiesen WPP, der ein neues RTO-Mandat eingeführt hat, das von den Mitarbeitenden verlangt, ab April durchschnittlich vier Tage pro Woche im Büro zu sein. Diese Entscheidung stieß auf erheblichen Widerstand: Eine öffentliche Petition, die das Unternehmen auffordert, diese Richtlinie zu überdenken, hat Tausende von Unterschriften erhalten. Doch WPP ist kein Einzelfall. Amazon, Disney und Starbucks haben ähnliche Richtlinien erlassen – und erleben die gleichen Reaktionen. Bei Amazon gingen über 5.000 Mitarbeitende in den Protest, als CEO Andy Jassy die strikte Rückkehrpflicht verkündete. Viele dieser Unternehmen begründen ihre Entscheidung mit einer befürchteten Produktivitätsminderung im Homeoffice – doch die Daten sprechen eine andere Sprache.
Warum Rückkehrpflichten auch ein Kündigungsgrund sind
Besonders größere Unternehmen mit mehr als 10.000 Mitarbeitenden setzen auf strenge Rückkehrregeln - das zeigt eine Studie von Flynn et al. (2024), die RTO-Politiken von 3.000 börsennotierten Unternehmen analysierte. Die Untersuchung ergab, dass 72 % der Unternehmen mit mehr als 50.000 Beschäftigten eine Rückkehr von mindestens drei Tagen pro Woche anordnen, während bei Unternehmen unter 1.000 Mitarbeitenden nur 28 % eine solche Regel durchsetzen.
Doch das hat Folgen: Besonders erfahrene Fachkräfte kehren diesen Unternehmen vermehrt den Rücken. Eine Studie von Van Dijcke et al. (2024) zeigt, dass Mitarbeitende mit mehr als zehn Jahren Betriebszugehörigkeit überproportional oft kündigen, wenn sie zu einer verpflichtenden Büropräsenz gezwungen werden. Der Grund? Viele von ihnen haben sich längst an eine selbstbestimmte und flexible Arbeitsweise gewöhnt und erleben, dass sie ihre Leistung auch ohne tägliche Präsenz erbringen können.
Gerade in der Tech-Branche war dieser Effekt besonders deutlich zu beobachten: Meta, Google und Microsoft haben in den letzten Monaten wieder verstärkt auf Büropräsenz gesetzt – und verzeichnen eine steigende Kündigungsrate unter erfahrenen Mitarbeitenden. Unternehmen, die auf starre Rückkehr-Pflichten setzen, laufen damit Gefahr, sich selbst langfristig zu schaden.
Ein oft übersehener Aspekt betrifft hochqualifizierte Frauen mit Kindern. Während der Pandemie haben viele erlebt, dass sie ihre Aufgaben genauso effizient aus dem Homeoffice erledigen konnten – ohne dabei in die klassische „Teilzeitfalle“ zu geraten. Eine Untersuchung von Ding et al. (2024) zeigt, dass Frauen mit Kindern eine um 35 % höhere Wahrscheinlichkeit haben, ein Unternehmen zu verlassen, wenn sie zur vollen Büropräsenz gezwungen werden. Unternehmen, die echte Gleichberechtigung anstreben, müssen flexible Arbeitsmodelle bieten, die nicht auf Karriereverzicht hinauslaufen, sondern es Frauen – und natürlich auch Männern – ermöglichen, Familie und Verantwortung im Unternehmen gleichermaßen zu vereinen.
Natürlich gilt es zu differenzieren: Hybride Modelle sind nicht für alle Arbeitsbereiche sinnvoll. Für Mitarbeitende in der Produktion, im Gesundheitswesen oder in der Logistik stellt sich die Homeoffice-Frage nicht – ein Chirurg kann keine Operationen vom Wohnzimmer aus durchführen, und auch ein Maschinenbediener an einer Fertigungsstraße braucht seinen physischen Arbeitsplatz. Doch in Wissensberufen, in der IT, im Marketing, im Finanzsektor oder in vielen Dienstleistungsbereichen ist der Arbeitsort zunehmend flexibel geworden – und damit auch die Erwartungen der Mitarbeitenden.
Produktivität: Büro oder Homeoffice - Die Zahlen sprechen für sich
Ein oft gehörtes Argument lautet: „Mitarbeitende sind nur im Büro produktiv.“ Doch wissenschaftliche Untersuchungen zeigen das Gegenteil. Eine aktuelle Studie von Fenizia und Kirchmaier (2025) zeigt, dass die Produktivität im Homeoffice im öffentlichen Sektor um 12% höher lag als im Büro – und sogar um 20%, wenn Führungskräfte die Aufgaben gezielt verteilten.
Die noch breitere Untersuchung von Flynn et al. (2024), die Daten aus 3.000 börsennotierten Unternehmen analysierte, bestätigt diesen Trend: Unternehmen, die hybride Modelle erlauben, erleben im Durchschnitt eine um 18 % höhere Mitarbeiterzufriedenheit und eine um 22 % geringere Fluktuation.
Warum also bestehen viele Unternehmen dennoch auf eine strikte Rückkehr? Die Studie von Ding et al. (2024) legt nahe, dass RTO-Regeln oft weniger mit Produktivitätssteigerung als mit Kontrolle zu tun haben.
Hybride Modelle: Die Zukunft der Arbeit?
Bei KellerPartner setzen wir auf Balance – und das erfolgreich seit fast 10 Jahren. Unser Ansatz ist Remote First, denn wir wissen, dass konzentriertes Arbeiten oft am besten gelingt, wenn man nicht durch Bürotrubel abgelenkt wird.
Doch wir haben auch erkannt, dass Teamgeist nicht über Dailies oder virtuelle Meetings entsteht. Deshalb treffen wir uns regelmäßig in unserer „Zentrale“ in Bonn zum Austausch, außerdem zu Quartalstreffen und Jahrestreffen, um persönliche Gespräche zu ermöglichen, gemeinsam an komplexen Veränderungsthemen zu arbeiten oder für die Gespräche an der Kaffeemaschine (guter Espresso inklusive ☕️). Zugleich bedeutet remote Arbeiten keineswegs den Verzicht auf klare Strukturen und Kontrolle. Effektive Führungsarbeit funktioniert auch in diesem Modell – wenn die richtigen Mechanismen installiert sind. Klare Zielsetzungen, strukturierte Projekt-Status-Updates und enge Abstimmung innerhalb der Teams sind essenziell, um auch remote effiziente Zusammenarbeit sicherzustellen. Bei KellerPartner nutzen wir Objectives and Key Results (OKRs) als Steuerungsinstrument, um transparente Ziele zu definieren und messbare Fortschritte zu gewährleisten. Regelmäßige digitale Meetings sorgen dafür, dass alle Beteiligten abgestimmt sind und Herausforderungen frühzeitig adressiert werden können.
Unser Modell ermöglicht zudem allen Mitarbeitenden – unabhängig von familiären Konstellationen oder Verpflichtungen – Verantwortung zu übernehmen. Denn echte Gleichberechtigung bedeutet, dass Karrierechancen nicht an physische Präsenz gebunden sind, sondern an Kompetenz und Engagement.
Die Zukunft der Arbeit wird (wo möglich) flexibel sein – und Unternehmen, die das verstehen und leben können, werden im Wettbewerb um die besten Talente die Nase vorn haben. Unternehmen, die dagegen auf rigide Rückkehr-Pflichten setzen, riskieren, genau die Menschen zu verlieren, die den Unterschied machen.
Wer also heute entscheidet, wie die Zusammenarbeit von morgen aussieht, sollte nicht fragen:
„Wie kriegen wir alle zurück ins Büro?“
sondern
„Wie gestalten wir Arbeit so, dass sie produktiv, sinnvoll und für alle fair ist?“
Denn letztlich geht es nicht darum, WO wir arbeiten – sondern darum, WIE wir gemeinsam erfolgreich sein können.
Ihr Daniel Keller
Weitere Informationen zum Thema Für alle, die sich tiefer mit den Hintergründen befassen möchten, sind hier Links zu einigen, aktuelle Studien, die die aktuelle RTO-Debatte wissenschaftlich fundiert beleuchten: |
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