KP Magazin

Zur Beziehungsebene

Geschrieben von Alexander Noß | 7.7.2018

Wie Sie den "zwischenmenschlichen Draht" leitfähig halten und gestalten

 

Liebe Leserinnen und Leser!

Nach der Lektüre dieses Artikels haben Sie verstanden, was geschehen kann, wenn zwischenmenschliche Kommunikation nicht offen besprochen wird, sondern Mimik und Gestik allein das Sagen haben. Sie haben Verständnis für den Begriff der Beziehungsebene erlangt und können diese daher gezielt gestalten: Zur Steuerung und zum konstruktiven Umgang mit Störungen in Ihrer Kommunikation — gegenüber Mitarbeitern, Kollegen und Vorgesetzten sowie im Privaten. Die Klippen der Kommunikation liegen doch so oft zwischen den Zeilen, sei es im beruflichen Kontext in der Führung von Mitarbeitern, im Umgang mit Kollegen oder im Privaten.

„Hey Ute, und, wie sind so die Erfahrungen mit deinem neuen Smartphone?“

Wie genau würden Sie diese fragende Botschaft deuten, die vielleicht über einen Messengerdienst bei einer Kollegin eingeht? Ist der Sender wirklich interessiert an der ehrlichen Einschätzung der Befragten? Oder möchte der Fragende die Angesprochene eher reizen und mit ihrem Gerät aufziehen? Die ehrliche Antwort lautet wohl: Das können wir nur aus dem Text ohne weitere Informationen noch nicht wissen.

Fehlt eine gewisse Zusatzaussage in der Kommunikation, können schriftliche Botschaften in WhatsApp, Brief, eMail und Co ohne eine „emotionale Regieanweisung“ schnell missverstanden werden. 


Das Phänomen erklärt auch, weshalb sich in der digitalen Kommunikation Smileys so großer Beliebtheit erfreuen: Sie liefern diese Zusatzaussage, durch einen reduziert-mimischen Eindruck auf visuellem Kanal. Viel reibungsloser funktioniert das in der Kommunikation unter Anwesenden: Hier gibt es diese Regieanweisung regelmäßig und frei Haus. Beispielsweise über die Art, wie Sie Ihr Gegenüber befragen (also über Ihren Stimmklang, die Betonung, Ihre Mimik oder Körperhaltung) entsteht bei jeder noch so sachlichen Frage eine zweite, zur Sache parallele Botschaft. Diese weitere Aussage liegt unter der sachlichen Information und ergänzt diese. Sie bestimmt, wie der Sender die Nachricht vom Empfänger verstanden wissen möchte — sie trifft also eine Aussage über die momentane Qualität der Beziehung zwischen Sender und Empfänger.

Erkundigen Sie sich noch so sachlich nach den Erfahrungen einer Kollegin mit ihrem Smartphone, kommt dabei also immer auch eine Beziehungsaussage zwischen Ihnen zum Ausdruck: Sind Sie ernsthaft interessiert an den Erfahrungen mit dem Gerät, etwa, weil Sie den Kauf des gleichen Geräts erwägen? Oder hinterfragen Sie als Anhänger einer speziellen anderen Marke tatsächlich mehr skeptisch, ob denn tatsächlich auch bei diesem günstigen Gerät Zufriedenheit in der Nutzung vorliegt? 

Die Qualitäten ihrer Aussage auf Beziehungsebene drücken sich bei Ihnen körpersprachlich und stimmlich aus– jedenfalls dann, wenn Sie sich nicht bewusst verstellen.


Und dann gibt es natürlich noch diejenigen, denen oft rein gar nichts anzumerken ist: Mit Pokerface und immer gleicher, sachlicher Fragestimme bleibt auch hier offen, wie genau der Fragende zur Empfängerin der Botschaft steht. Dann ist die gesendete Botschaft genauso vorhanden, wenn auch vielleicht weniger offensichtlich — aber doch deutlich eine von Kontrolle und Vorsicht oder von rationalem Kalkül in der zwischenmenschlichen Beziehung.Übrigens: Welche Frage auch immer gestellt werden soll — auch jede Antwort der Kollegin auf die Frage muss sich zwangsläufig neben der Sachaussage auch zur gesendeten Botschaft auf der Beziehungsebene irgendwie verhalten. Sie kann sie gar nicht ignorieren. Selbst ein Schweigen ließe eine Deutung als kommunikative Reaktion mit einer Aussage zu — etwa das Ignorieren des mehr an der Bestätigung seiner eigenen Meinung über ältere Geräte als an den tatsächlichen Nutzungserfahrungen interessierten Kollegen.

Es gilt daher:

Der kommunikative Sachaspekt vermittelt die Zahlen, Daten und Fakten — und der Beziehungsaspekt, wie dieser Sachinhalt im aktuellen Kontext genau zu verstehen ist. 


Eher selten werden die Verhältnisse umgekehrt — dann, wenn Beziehungen zum expliziten Gesprächsthema werden, wenn also die Kommunikation zwischen den Beteiligten und die zugrundeliegenden Beziehungen selbst zum Thema der (Meta-)Kommunikation werden.

In der Psychologie wird das Phänomen seit Sigmund Freuds Zeiten mit dem Bild des Eisbergs verglichen: Der unter der Wasseroberfläche liegende Teil der schwimmenden Eismasse ist viel größer als der sichtbare Teil des Eises — und der Großteil unter Wasser bestimmt eben auch, wann der Eisberg vom Schiffsrumpf berührt wird. Dies gilt gerade auch, wenn der sichtbare Teil des Eisbergs vielleicht noch weit entfernt scheint. Diese Erkenntnis wird frei nach Pareto oft wie folgt auf kommunikative Sachverhalte übertragen:

 

Die Beziehungsebene schwimmt unter Wasser, ist daher meist unsichtbar — und dominiert die Sachebene doch deutlich, etwa im Verhältnis 80:20. Sie entscheidet also weit überwiegend, ob der Inhalt so ankommt wie vom Sender gewünscht (bzw. gefragt) — oder eben im Kollisionsfall nicht oder anders.


Für Ihren Alltag bedeutet dies: Fließt der gewünschte Inhalt — oder scheitert es an den Themen, die gerade auf der Beziehungsebene „passieren“? Dieser empirischen Beobachtung entspricht ein Bild aus der Antike: Das beliebte, besonders kalkhaltige Trinkwasser der Römer wurde dort über brückenähnliche Bauwerke mit konstant leichtem Gefälle befördert. Diese Aquädukte spannten sich oft mit vielen Rundbögen und schnurgerade über die Täler im gesamten Voralpenland: Über bis zu 150 Kilometer lange Durststrecken gelangte der begehrte Inhalt ins entfernte Ziel. Dort ermöglichte das kühle Nass die Wasserversorgung und Hygiene der römischen Bürger, aber auch den fruchtbaren Ackerbau überall dort, wo zuvor Dürre herrschte.

Doch wehe, wenn das fragile Bauwerk auf der langen Strecke irgendwo marode wurde: Das Wasser plätscherte an der Bruchstelle hinab ins Tal. Am Ziel kam dann höchstens noch ein kümmerliches Rinnsal an. Um das zu vermeiden, hatte die Wartung der Aquädukte für die römischen Statthalter in den Provinzen oberste Priorität. Und falls es doch zu einem Defekt kam, setzten die Römer sofort alle Hebel in Bewegung: Die römischen Bauaufseher schwärmten dann mit militärischer Begleitung aus und suchten das Leck, um es schnellstens mit einem Bautrupp zu beheben. Diese große Mühe und Sorgfalt, die den Aquädukten zuteil wurde, zahlte sich noch lange nach dem Untergang des römischen Imperiums aus: Einige der Aquädukte waren bis weit ins 19. Jahrhundert in Gebrauch.

Diese hohe Investition in Infrastruktur, in ein Bauwerk, steht sinnbildlich für die Dimension des Kontaktes zu unseren menschlichen Gegenübern, für die Pflege der Beziehungsebene. Hier — also nicht im Inhalt! — ist die entscheidende Spielwiese, auf der sich entscheidet, wie menschliche Begegnungen ausgehen und wie tragfähig sich der Kontakt zwischen zwei Individuen fortentwickelt: Mit der Chance auf echte, menschliche Begegnung mit der Folge der ehrlichen und offenen Besprechung des Wesentlichen in puncto reibungsloser Zusammenarbeit, oder mit einem Herumlavieren und der Lösung menschlicher Herausforderungen über den Umweg der Sachebene, weil etwas Unbesprechbares „einfach irgendwie stört“ und sich an genau dieser Stelle das kostbare Wasser ins Tal ergießt.Mit Rücksicht auf unser alle Aquädukte zu unseren Mitarbeitern, Chefs und Kollegen gilt daher:

Achten Sie auf Ihre Beziehungsebenen zu Ihren wichtigsten Partnern in der Zusammenarbeit und auch Privat: Definieren Sie die entscheidenden Beziehungen, auf deren Kontrolle und Instandhaltung Sie regelmäßig Zeit verwenden möchten.


Geben Sie Rückmeldung über die Baufälligkeit des Gemäuers und darüber, wieviel Wasser gerade bei Ihnen eingeht: Klären Sie Ihre Beziehungen über Metakommunikation. Seien Sie im Zweifelsfall dabei gerne offen und mutig — und sprechen Sie auch Unbequemes an, das den momentanen Kontakt belasten könnte. Über Ihre Beziehung zu sprechen ist kein Allheilmittel — und dennoch eine Chance.

Zeigen Sie im Gespräch auch Emotionen, wenn sie deutlich vorhanden sind, und besprechen Sie sie bei Bedarf — andernfalls wirken Sie möglicherweise unbeteiligt, glatt und wenig authentisch.

Äußern Sie Ihre Phantasien über das, was zwischen Ihnen steht und die Leitung einengt — klären Sie so Ihre Vorannahmen an Ihr Gegenüber und Ihre Zusammenarbeit. Im schlimmsten Fall stimmt, was Sie denken — dann haben Sie immerhin Klarheit. Im besten Fall erweist sich Ihre Vorannahme als falsch — und sie klären Ihre Beziehung mit der Folge einer zukünftig reibungsloseren Zusammenarbeit.

Gerade in Change-Situationen werden die Beziehungsebenen-Karten — je nach den Auswirkungen des Change-Prozesses für die beteiligten Personen — neu gemischt. Deswegen potenzieren sich die oben genannten Aussagen zur Beziehungsebene negativ oder positiv. Sachlogischem Change gilt es so immer psychosoziale Beziehungsebene an die Seite zu stellen.

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Alexander Noß und Prof. Dr. Daniel Keller