Liebe Leserinnen und Leser,
die verrückte Zeit, die uns in allen Lebensbereichen herausfordert und Anpassungen im Denken, Fühlen und Handeln nach sich zieht, sie geht weiter. Vielleicht hat die österliche Freude auch Sie an dem Ort erreicht, an dem Sie sich über die Feiertage zurückziehen. Zurückziehen? Wirklich? Womöglich fühlt sich dieser Rückzug nicht so an, sind wir doch schon viele Tage und Wochen zurückgeworfen auf Entscheidungen, die wir über unsere Lebensgestaltung getroffen haben; bewusst dürften sie uns inzwischen sein, allesamt.
In Woche 5 und damit in genau der Woche, indem die deutsche Bundeskanzlerin im Austausch mit Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten neuerlich über die Ausgestaltung unserer Freiheitsrechte berät, kann es noch immer nicht ums Gestalten gehen. Fokus der Zeit Zeichen heute sind Besitzstände – materielle, aber eben auch immaterielle. Da ist vielleicht der tolle Wagen, der jetzt in der Garage steht. Die teuren Outfits, die im Schrank hängen. Die geschliffene Rhetorik und argumentative Brillanz, die früher jeden Meeting-Teilnehmer hat erblassen lassen und die mit Zoom einfach anders wirkt. Beispiele für Besitzstände, von denen wir nach 4 Wochen vielleicht bemerkt haben, dass wir sie … doch nicht so dringend brauchen, wie wir dachten. Unlängst bemerkte eine Kundin im Gespräch, dass durch die neue Arbeitsgestaltung jeden Mittag ein Spaziergang an der frischen Luft zu ihren täglichen Routinen gehöre und auch „der Sport“ einen neuen Platz auf der Agenda eingenommen hätte. Ihre Rückenschmerzen seien freilich jetzt weg. Die tägliche Nahrungsaufnahme bietet die Chance, das eigene Essverhalten anzupassen an die Gelegenheit, in Gemeinschaft zu essen und frische Lebensmittel zu verwenden. Schon nach nur einer Woche haben einige hier Resultate am eigenen Körper erlebt und schwören schon, das nach dem Lock-Down unbedingt beibehalten zu wollen. Wie ist es bei Ihnen? Welche Besitzstände haben sich bei Ihnen inzwischen verändert, welche davon erleben Sie als positiv?
Herausfordernder, weil an eine ungleich größere Zahl von intervenierenden Variablen gebunden, sind da Besitzstände in unseren beruflichen, unseren professionellen Routinen: Ändert eine Führungskraft sanft und sachte einen Ton in der Melodie, zieht dies nicht zwangsläufig ein neues Lied nach sich, wenn die Mitarbeiterschaft fröhlich weitermacht wie bisher. Wenn nun aber alle offen sind, alle betroffen von dieser Welle, die uns einlädt, Bekanntes und Gewohntes zu hinterfragen, dann KANN dies eine große Kraft entfalten, wenn das ganze Orchester wieder zurück in den Graben und kraftvoll in Tasten oder Saiten greifen darf. Das klappt dann, wenn der Dirigent, also die Führungskräfte, eine neue Interpretation der bekannten Stücke vorschlagen und fähig sind, diese auch anzuleiten. Ebenso spannend wird dies bei neu zu entwerfenden oder stringenter zu verfolgenden digitalen Geschäftsmodellen sein – dazu an anderer Stelle mehr.
Ich selbst habe die Angewohnheit, in regelmäßigen Abständen ein Benediktiner-Kloster aufzusuchen und mich – allein – der Tagesgestaltung der Ordensregel des Heiligen Benedikts unterzuordnen. Zunächst bedeutet das sehr konkret den Wegfall von vielem, was ich im Alltag sehr schätze. Auf einmal gibt es rings um mich Regeln, die mein äußeres Verhalten betreffen, das bin ich nicht gewohnt. Und: Nach einiger Zeit schwinge ich mich ein, finde Ruhe und schöpfe Kraft aus ebenjenen auf den ersten Blick starr anmutenden Regeln, die mir ob ihrer Begrenztheit geistige Freiheit erlauben, die ich in meinem beruflichen und privaten Alltag ob seiner Komplexität nur selten finde.
Dieses Heraus-Treten erlaubt eine Betrachtung auf Besitzstände, auf gewohntes Verhalten mit Blick auf die Frage, ob es wirksam ist. Und wenn es – wie jetzt im Shut-Down, ohnehin teilweise oder vollständig aus unserer Verhaltensklaviatur verschwunden ist, dann ist es leicht, diese Perspektive einzunehmen. Es ist genau diese Perspektive, aus der die Kraft des Neuen wachsen kann. Eine Kraft, von der ich mir für uns alle wünsche, dass Sie uns zur Verfügung steht, wenn wir wieder kraftvoll gestalten dürfen.
Am kommenden Mittwoch möchte ich im virtuellen Zeit | Zeichen Workshop (Mittwoch, 15.04.2020 um 20:30 Uhr) die Frage nach den Besitzständen im professionellen Kontext wieder aufgreifen und mit Ihnen betrachten, auf welche Ideen sie deren Wegfall nach vier Wochen womöglich schon gebracht hat. Ich freue mich auf Sie!
Ihr Daniel Keller für das Keller Partner Team
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