Liebe Leserinnen und Leser,
Der gesamte Führungsalltag ist geprägt von Kommunikation, sei es durch das Diskutieren komplexer Themen, der Erteilung von Anweisungen oder auch dem Geben von Feedback. Kommunikation macht also den Löwenanteil der Führung aus und wortgewandte Individuen haben sich seit jeher als die besseren Führenden erwiesen. Dennoch kommt in der Führung eine Art der Kommunikation oftmals viel zu kurz: Das Fragen!
Schätzungen von Bales (1950) zufolge machen Fragen nur 6% der gesamten Kommunikation aus, aber dafür sind 60% eines Gesprächs Antworten auf zuvor erfolgte Fragen. Wir verkennen dabei oft, dass Fragen machtvolle Instrumente sind, die viel mehr Funktionen erfüllen können als die bloße Abfrage einer Information.
In genau dieser Kerbe schlägt das sehr aktuelle Konzept der Respectful Inquiry nach Van Quakebeke und Felps (2018). Die Autoren postulieren einen veränderten Fragestil, mit Hilfe dessen Erstaunliches erreicht werden kann. Das Konzept der Respectful Inquiry geht davon aus, dass alle Menschen psychologische Grundbedürfnisse im Sinne der Self-Determination Theorie nach Ryan und Deci (2000) haben. Diese wären Autonomie beziehungsweise ein subjektives Empfinden von Eigenkontrolle, das Erleben der eigenen Kompetenz und das Gefühl von Zugehörigkeit. Der Befriedigung dieser Bedürfnisse kommt im Arbeitsleben eine hohe Bedeutung zu. Vor allem die Führungsebene hat hierbei großen Einfluss, denn sie stellt die psychologischen Ressourcen bereit, also quasi das seelische Futter, das die Geführten benötigen, um langfristig wirksam und glücklich sein zu können.
Wie aber erreichen wir das über einen veränderten Kommunikations- und Fragestil?
Dazu benötigen wir wiederum drei Komponenten: Der Kommunikationsstil muss geprägt sein von vielen Fragen, von offenen Fragen und von aktivem Zuhören.
Durch das Stellen vieler Fragen erzeugen wir bei unserem Gegenüber ein Kontrollempfinden, denn wir geben ihm dadurch die Gelegenheit, das Zepter in die Hand zu nehmen, Teile des Gesprächs zu gestalten und somit Einfluss auf dessen Ausgang zu nehmen.
Durch das Stellen offener Fragen, die nicht die eine „richtige“ Antwort erlauben, sondern vielfältig und im Einklang mit der eigenen Persönlichkeit beantwortet werden können, geben wir unserem Gegenüber eine Möglichkeit, seine eigenen Fähigkeiten zu zeigen. Zum Beispiel kann er dann auf eine Aufgabe eingehen, die er besonders gut erfüllt hat und hier die Muskeln spielen lassen. Wir zeigen ihm dadurch ebenfalls, dass seine Kompetenz wahrgenommen und geschätzt wird und wir diese auch auf dem Schirm haben.
Durch aktives Zuhören zeigen wir ihm zuletzt, dass sein Anliegen — und vor allem er selbst — ernst genommen wird. Beim Gegenüber löst das dann ein Gefühl des Dazugehörens aus.
Welche Effekte lassen sich nun beobachten? Zuallererst können wir über die Kommunikation das Arbeitsklima und die Beziehungen zu den Mitarbeitern verbessern. Führungskräfte, die Anteil nehmen an den Eigenheiten und Fähigkeiten ihrer Mitarbeiter sind im Allgemeinen beliebter. Weiterhin hat eine solche Frageweise einen großen Einfluss auf die Motivation: Ein Mitarbeiter, dessen psychologische Bedürfnisse befriedigt sind, entwickelt mit großer Wahrscheinlichkeit eine intrinsische Motivation für seine Arbeit. Das heißt, er arbeitet selbstständiger, versucht Probleme selbst anzugehen und er führt die Tätigkeiten um ihrer selbst Willen aus (im Idealfall machen sie ihm sogar Spaß) und nicht primär, weil er sich für deren Erfüllung eine Belohnung erhofft.
Vor allem für Change-Prozesse im Unternehmen kann das außerordentlich nützlich sein. Der motivierte Mitarbeiter wird den Change akzeptieren und ihn vielleicht sogar proaktiv mitgestalten. Sie als Führende rennen somit nicht gegen unsichtbare Wände oder müssen den Change mit dem Holzhammer durchsetzen, sondern können mit einem respektvollen Fragestil erreichen, dass ihre Mitarbeiter ihn freiwillig und bereitwillig mittragen.
Doch Vorsicht! Trotz aller Nützlichkeit birgt die Respectful Inquiry auch ihre Risiken.
Dazu ein Beispiel: Stellen Sie sich vor, in einem Mitarbeitergespräch werden viele offene Fragen an den Mitarbeiter gestellt, aber der Führende hört nicht aktiv zu, schaut auf sein Handy und suggeriert, als wäre ihm das Ganze fürchterlich egal. Trotz der offenen Fragen sehen wir hier dann den genau gegenteiligen Effekt dessen, was eigentlich erreicht werden sollte: Der Mitarbeiter fühlt sich nicht ernst genommen vom in die Luft starrenden Chef und ist verärgert über das offensichtliche Desinteresse. Das wird dadurch noch verstärkt, dass dieser ihn ja vorher noch explizit nach seiner Ansicht der Dinge gefragt hat, aber die Antwort sprichwörtlich im Sand verläuft. Zu beachten ist weiterhin, dass Respectful Inquiry situativ variieren kann. Das heißt, dass in Situationen, in denen viel von ihr notwendig wäre, trotzdem sehr wenig gezeigt wird. Die Autoren des Artikels nennen diese paradoxen Situationen „Ironic Dynamics“. Ein paar Beispiele: Unter hohem Zeitdruck haben Führungskräfte weniger Luft und Nerven, um ihre Mitarbeiter anzuweisen oder zu kontrollieren und benötigen daher sehr selbstständige Mitarbeiter. Um das zu erreichen, benötigen wir aber viel Respectful Inquiry, die unter Druck aber tendenziell weniger gezeigt wird. Eine ähnliche Situation findet sich, wenn wir unter hoher kognitiver Belastung stehen. Wer seine geistige Kapazität schon für etwas anderes braucht, kann nicht auch noch eine ganze Herde an unselbstständigen Mitarbeitern überwachen.
Abschließend möchten wir Ihnen ein paar Hinweise geben, wie Sie Ihren eigenen Fragestil systematisch hin zur Respectful Inquiry verändern können:
Kommunikation ist zuallererst einmal Einstellungssache. Wer seinen Kommunikationsstil ändern möchte, muss das auch wollen und sich des Prozesses der Veränderung bewusst sein, ganz ähnlich wie bei Change-Prozessen im Unternehmen. Beginnen Sie damit, Ihren Mitarbeitern mehr Fragen zu stellen und ihn zum Fackelträger der Konversation zu machen. Formulieren Sie Ihre Fragen zudem anders. Versuchen Sie es statt mit „Wie geht es Ihnen denn heute?“ eher einmal mit „Wie haben Sie Ihre Situation im Unternehmen in letzter Zeit denn erlebt?“. Die zweite Frage ist offener und erlaubt viel eher eine Antwort, die der Persönlichkeit des Befragten entspricht und mit der er seinem „psychologischen Hunger“ Ausdruck verleihen kann.
Üben Sie zudem aktives Zuhören. Das besteht nicht nur daraus, Augen und Ohren offen zu halten, sondern soll durch kurze Rückmeldungen (z.B. kurze Bestätigungen wie „In Ordnung“ oder „Aha“) während des Gesprächs Nähe und Anteilnahme vermitteln. Fassen Sie zudem das Gesagte kurz zusammen nachdem der Mitarbeiter seine Antwort gegeben hat und stellen Sie Rückfragen. Dadurch zeigen Sie, dass Sie aktiv zugehört und die Inhalte sowie Gefühle des Gegenübers wahrgenommen haben.
Wenn Sie mehr über das Konzept der Respectful Inquiry erfahren möchten, empfehlen wir Ihnen den Original-Artikel von Van Quakebeke und Fels (2018).
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Wir bedanken uns für Ihr Interesse und wünschen viel Erfolg beim respektvollen Nachfragen!
Prof. Dr. Daniel Keller für das Keller Partner Team