Liebe Leserinnen und Leser,
die moderne Arbeitswelt befindet sich in einem rasch fortschreitenden Wandel. Das ist nichts Neues, bringt jedoch immer wieder neue Chancen und Herausforderungen mit sich. Mit der Verwandlung des Rollenbildes der Geschlechter und der Mentalität gegenüber der Arbeit an sich gehen neue Entwicklungen einher und Arbeit in Teilzeit wird immer beliebter: Sowohl unter Männern als auch unter Frauen stieg die Quote der in Teilzeit Beschäftigten seit den frühen 90ern kontinuierlich an. Eine neue Entwicklung stellt das sogenannte Shared Leadership dar, die geteilte Führung. Die Idee dahinter: Warum nicht auch Führungspositionen aufteilen?
Geteilte Führung stellt dabei keine eigene Theorie mit Annahmen und Folgen dar, sondern eher einen systemischen Blick auf Führung an sich, die hier als Kontinuum zwischen vertikaler Führung (einer ist der Chef) und dem Einfluss von zwei oder mehreren Teammitgliedern verstanden wird.
Bei geteilter Führung wirken also in einem komplexen sozialen Einflussprozess mehrere Teammitglieder mit unterschiedlicher Expertise zusammen, um ein kollektives Ziel, nämlich das der Organisation, zu erreichen (Werther, 2014).
Dies bietet vielfältige Möglichkeiten, wie z.B. die bereits angesprochene Führung in Teilzeit, die eine neue Perspektive der Vereinbarung von Familie und Beruf erhoffen lässt.
Aber kann Führung in Teilzeit überhaupt funktionieren? Wie soll eine verantwortungsvolle Stelle, die einen hohe Zeit- und Aufmerksamkeitsressourcen beansprucht, aufgeteilt werden? Dafür braucht es im Unternehmen auf allen Ebenen gewisse Voraussetzungen. Auf normativer Ebene muss eine offene, innovative Unternehmenskultur herrschen, die neuen Lebensentwürfen und Arbeitskonzepten Raum lässt. Ständige Bereitschaft zur Innovation hat sich als wichtiger Faktor für die Überlebensfähigkeit von Organisationen erwiesen, weswegen Unternehmen mit einer solchen Kultur erfolgreicher sind, als Unternehmen, die an starren Konzepten festhalten. Teilzeit-Führung und geteilte Führung verlangen eine starke gemeinsame Vision der Mitglieder des Unternehmens und eine Abkehr von strenger Kontrolle und Machtausübung durch Vorgesetzte und in diesem Zusammenhang auch Vertrauen. Das funktioniert nur in Unternehmen, die Veränderungen positiv begegnen und diese managen können. Auch strategisch und operativ hat geteilte Führung Voraussetzungen: Es besteht betriebswirtschaftlich die Möglichkeit, dass höhere Kosten entstehen und der Umsetzung dadurch Steine in den Weg gelegt werden. Dennoch: Vergleichen wir die Investitionen von Unternehmen in eine möglichst sichtbare Führungsebene (teure Büros, Firmenwagen, Handys) mit den Investitionen in Menschen, wird der Kostenunterschied bereits weniger drastisch, denn bei geteilten Führungspositionen benötigt nicht jede Führungskraft diese Statussymbole. Es ist nachvollziehbar, dass durch das Teilen der Position höhere Kosten entstehen. Das Resultat ist schlechter messbar, als rein auf Zahlen basierende Werte, aber spricht dennoch für sich: mehr Arbeitsqualität, ein besseres Betriebsklima und eine bessere Gesundheit der Angestellten (Katterbach & Stöver, 2019).
Auch die Persönlichkeitsebene ist bei geteilter Führung nicht voraussetzungsfrei. Menschen mit einem hohen Machtmotiv eignen sich weniger dafür, eine Führungsposition mit anderen aufzuteilen. Hohe Leistungsmotivation, ehrliche Selbstreflexion und ein „dickes Fell“ sind ebenfalls essenzielle Voraussetzungen, ohne die diese Herausforderung nicht zu meistern ist.
Die Empirie spricht insgesamt für die geteilte Führung als Alternativmodell. In zwei Metaanalysen stellten Werther (2013) und Wang, Waldman & Zhang (2013) positive Zusammenhänge geteilter Führung mit der Effektivität im Team heraus. In einer Studie von Pearce und Sims (2002) fielen die Zusammenhänge zwischen geteilter Führung und Effektivität sogar höher aus als zwischen konventioneller vertikaler Führung und Effektivität. In geteilt geführten Teams gibt es eine höhere Teamkohäsion (Balthazard, Waldman, Howell & Atwater, 2004) sowie weniger Konflikte (Solansky, 2008).
Sowie der römische Gott Janus hat allerdings auch die mehrköpfige Führung ein lachendes und ein weinendes Gesicht. Geteilte Führung funktioniert nicht immer und bedarf die absolute Überzeugung aller Beteiligten. Eine Führungskraft, die ihren Mitarbeitern nicht vertrauen kann und Aufgaben nicht wirksam delegiert, sprich alle Verantwortung an sich reißt, der kann seine Führungsaufgaben auch nicht teilen, da er kein funktionales Führungsverständnis aufgebaut hat. Auch rechtlich ergibt sich eine schwierige Hürde, denn Arbeitgeber dürfen Anfragen aus betrieblichen Gründen (die wiederum nicht genau definiert sind) ablehnen. In manchen Unternehmen stoßen derartige Anfragen zudem auf den Widerstand der geführten Mitarbeiter. Dies allerdings eher dann, wenn diese bereits im Vorfeld gegen jedwede Art von Führung rebelliert haben.
Wir möchten Ihnen zwei konkrete, miteinander verwandte aber doch distinkte, Gestaltungsmodelle vorstellen, die illustrieren, wie geteilte Führung aussehen kann: das Top Sharing und das Top Splitting (vgl. Katterbach & Stöver, 2019).
1) Beim Top Sharing teilen sich zwei Führungskräfte auf derselben Hierarchieebene eine Managementtätigkeit. Sie erledigen also dieselben Aufgaben, arbeiten aber an verschiedenen Tagen. Für wichtige Absprachen braucht es dennoch einige Arbeitszeitüberschneidungen, in denen beide anwesend sind. In diesem Modell erhalten beide Führungskräfte dasselbe Gehalt und sind beide gemeinsam für den Bereich verantwortlich. Wichtige Voraussetzung ist die fachliche sowie menschliche Passung beider Führungskräfte, da ansonsten Chaos entstehen kann.
2) Im Gegensatz dazu steht das Top Splitting, bei dem eine Vollzeitstelle in zwei unabhängig voneinander funktionierende Einheiten aufgeteilt wird. Beide Führungskräfte haben separat verhandelte Arbeitsverträge und ihre Tätigkeitsbereiche überschneiden sich kaum bis gar nicht. Dieses Modell gewährt beiden alle Vorteile einer Vollzeitstelle auf Teilzeitbasis, lässt jedoch eine Vertretungsregelung vermissen, da der jeweils andere nicht mit den Themen vertraut ist. Scheidet einer der beiden aus dem Unternehmen ist auch die Wissenserhaltung nicht gewährleistet. Dieses Modell eignet sich für leicht aufzuteilende Tätigkeiten (z.B. Controlling, Marketing etc.).
Zusammenfassend noch einmal die wichtigsten Erkenntnisse zur geteilten Führung:
Geteilte Führung stellt eine Antwort auf zahlreiche Probleme der Arbeitswelt des 21. Jahrhunderts dar: Vereinbarkeit von Familie und Beruf, Work-Life-Balance, Arbeitsgesundheit etc.
Geteilte Führung geht mit vielen Voraussetzungen einher, erbringt dafür aber (empirisch belegte) Verbesserungen für Arbeitsmotivation und Gesundheit im Betrieb.
Das Mindset ist wichtig: Moderne Formen der Arbeitsgestaltung werden in Zeiten der zunehmenden Digitalisierung immer mehr an Bedeutung gewinnen und wir werden uns ihnen langfristig nicht entgegenstellen können.
Top Sharing und Top Splitting stellen zwei Beispielmodelle dar, die zeigen, wie geteilte Führung gestaltet werden kann. Wir möchten Sie ermutigen, offen für weitere Möglichkeiten zu bleiben, die sich im Laufe der Jahre zu diesem jungen Thema ergeben.
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