Liebe Leserinnen und Leser,
Führung ist eine komplexe Angelegenheit. Eines der klassischen Dilemmata der Führung stellt die Entscheidung dar, einem sicheren, ertragreichen Tagesgeschäft ohne große Veränderungen in Ablauf, Abwicklung und Akquise nachzugehen (Operative Führung durch Exploitation), oder Neues zu wagen und innovativ, aber unsicher in die Zukunft durchzustarten (Strategische Führung durch Exploration).
Trotz seiner Aktualität wird dieses Thema seit mehr als 10 in Jahren Wissenschaft und Wirtschaft diskutiert: Das Dilemma entspricht dem Konzept der geschlossenen vs. offenen Organisation nach Gebert und Boerner (1995). Die sich rasch wandelnden Umweltfaktoren erzeugen bei Organisationen einen enormen Innovationsdruck, währenddessen das Kerngeschäft — welches immerhin den Hauptertrag generiert — ebenfalls weiterlaufen muss. Als Beispiel sei hier die Disruption der Geschäftsmodelle durch die Digitalisierung genannt. Das zwingt die Führenden innerhalb der Organisation, sich aktiv mit einem solch paradox anmutenden Widerspruch auseinanderzusetzen. Einen Ansatz zur Verbindung dieser zwei so unterschiedlich erscheinenden Konzepte schlägt die sogenannte Ambidextre Führung (ambidextrous leadership) vor.
Der geflügelte Begriff Ambidexterität stammt ursprünglich aus der Medizin und bezeichnet dort die Beidhändigkeit. Ambidextre Menschen wissen also beide Hände gleichwertig zu verwenden und haben nicht, wie die meisten anderen Menschen, eine starke und eine schwache Hand. Übertragen auf die Führung ergibt sich ein Balanceakt:
Kerngedanke ist der Ausgleich der Nachteile des einen Führungsstils durch Vorteile des anderen, komplementären Führungsstils.
Der Widerspruch muss also aktiv gelebt und bewusst kommuniziert werden! Nur, wer eigentlich kontraintuitiv zueinanderstehende Konzepte verknüpfen und umsetzen kann, wird den Anforderungen der dynamischen, leistungsorientierten Arbeitswelt gerecht. Empirische Studien belegen die Wirksamkeit ambidextrer Führung: Sie steigert signifikant die Innovationskraft im Team (vgl. Zacher & Rosing, 2013) und auch die Teamleistung (vgl. Lee, Seo, Jeung & Kim, 2017). Es lohnt sich also, zweigleisig zu fahren und den Spagat zwischen operativer wie strategischer Führung zu wagen.
Wie kann das konkret aussehen? Nehmen wir an, Sie führen ein Team in einem Industrieunternehmen und sehen sich der Herausforderung gegenüber, den Anforderungen der digital orientierten Industrie 4.0 gerecht zu werden. Hier bieten sich je nach Situation offene oder geschlossene Verhaltensweisen an: Geht es um die Massenproduktion von Teilen für einen langjährigen, kritischen Kunden, bestehen Sie auf bewährten Produktionsvorgängen, kontrollieren Sie kritisch und geben Sie Acht auf die Einhaltung bestehender Richtlinien. Möchten Sie einen neuen Kunden gewinnen, setzen Sie auf Innovation: Ermutigen Sie Ihre Mitarbeiter, eigene Ideen einzubringen, erlauben Sie Fehler, unterstützen Sie im darauffolgenden Lernprozess (Stichwort: Trial and Error) und gehen Sie (überlegte) Risiken ein. So führen Sie situativ und integrieren Strategien eines offenen, als auch geschlossenen Führungsstils in Ihrem Führungsverhalten.
Für das beidhändige Führen geben wir Ihnen daher drei Tipps mit auf den Weg:
Machen Sie sich Ihre eigenen Dilemmata der Führung bewusst! Versuchen Sie, die Chance im Widerspruch zu sehen.
Lernen Sie Situative Führung. Implementieren Sie dann situative Elemente des offenen und geschlossenen Führungsstils.
Bleiben Sie authentisch! Übergänge zwischen Führungsstilen müssen nachvollziehbar und zielorientiert gestaltet sein. Machen Sie die verschiedenen Führungsansätze den Mitspielern transparent.
Wer tiefer in die Materie eintauchen möchte, dem empfehlen wir das Original-Paper von Rosing, Frese und Bausch (2011), die den Begriff der ambidextren Führung eingeführt haben.
Hier geht es zur Keller Partner eAcademy
Wir bedanken uns für Ihr Interesse und wünschen Ihnen zukünftig viel Erfolg beim beidhändigen Führen!
Prof. Dr. Daniel Keller für Keller Partner
Bildquelle: Bild von Theodor Moise auf Pixabay