Liebe Leserinnen und Leser,
„was du heute kannst besorgen,…“. Ein alter Spruch, schon oft gehört und immer mit der gleichen zynischen Botschaft: Wer Dinge vor sich hin schiebt, der hat sein (Arbeits-)Leben nicht im Griff. Und doch neigen viele unter uns dazu, immer wieder aufzuschieben und sich vermeintlich wichtigeren (oder schlicht attraktiveren) Tätigkeiten zu widmen. Eine alternative Sichtweise auf das Aufschieben stellt John Perry in seinem Buch „Einfach liegen lassen“ (2012) dar. John Perry ist emeritierter Professor für Sprachphilosophie und entwickelte einen Ansatz, den er „Structured Procrastination“ nennt.
Um dies zu verstehen müssen wir betrachten, wie die meisten Menschen ihre Aufgaben sortieren:
Sie listen sie auf (entweder im Kopf oder physisch) und priorisieren diese je nach Dringlichkeit und Relevanz für übergeordnete Ziele. Die normale Strategie sähe nun so aus, dass die wichtigsten und dringlichsten Aufgaben als erstes abgearbeitet werden und dann die weniger wichtigen usw. Nicht so bei John Perry! Zitat: „Um ein Überflieger zu sein, arbeite stets an etwas Wichtigem, um zu vermeiden, etwas zu tun, das noch wichtiger ist.“ Diesem durchaus humorvoll zu verstehenden Ansatz liegt eine tiefe psychische Gelassenheit gegenüber Deadlines zugrunde, die nicht jedem Menschen zu Eigen ist.
In unserer Leistungsgesellschaft hat Prokrastination oft eine negative Konnotation und wird mit Menschen assoziiert, die ihren Verpflichtungen gegenüber sich selbst und anderen nicht nachkommen. Perry liefert hier auf philosophische Weise einen Hinweis darauf, dass das als so unproduktiv verschriene Phänomen auch gute Seiten aufweisen kann.
In einer Studie von Cohen und Ferrari (2010) zeigte sich, dass überlegte und geplante Prokrastination einen Zusammenhang zu Kreativität aufweist: Wer sich Zeit lässt und das Arbeitsergebnis über die unbedingte zeitliche Erledigung stellt, der hat meist bessere Ideen und Lösungsvorschläge als derjenige, der alles zum verlangten Zeitpunkt fertig hat.
Wir wollen das Phänomen dennoch nicht verharmlosen: Extreme Prokrastination ist psychologisch und medizinisch als Störung der Selbststeuerung anerkanntes Verhalten. Auf dem Kontinuum des Aufschiebens stellt dies also die Spitze dar und bedarf professioneller Hilfe, da sonst eine normale Bewältigung des Alltags nicht mehr möglich sein wird.
Diese Erkenntnisse kann man nun gut nutzbar machen, um seine Haltung gegenüber Prokrastination ein wenig zu überdenken:
Beispielsweise könnten Sie sich einmal Gedanken darüber machen, was Deadlines für Sie persönlich bedeuten und welche Aspekte einer Aufgabe für Sie die größte Wichtigkeit haben (z.B. Kreativität vs. schnelle Erledigung).
Eine weitere Möglichkeit ist es, Aufgaben mit dringenden Deadlines in Teilschritte aufzuteilen. Vielleicht ist nur einer der Teilschritte zeitlich kritisch und nicht die gesamte Aufgabe an sich?
Auch kann es sich lohnen, die eigene Motivation zu hinterfragen: Der Anspruch, alle Aufgaben stets in der vorgegebenen Zeit perfekt erledigen zu können, ist unrealistisch, selbst für die leistungsfähigsten Menschen.
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Vielen Dank für Interesse!
Prof. Dr. Daniel Keller für Keller Partner
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