Liebe Leserinnen und Leser,
noch vor wenigen Tagen, als der winterliche Frost über das Rheinland hereinbrach, bot sich im Bonner Norden ein Anblick, der momentan seinesgleichen sucht. Ein Zufluss des Rheins war über seine Ufer getreten und das Wasser über Nacht gefroren, sodass sich am Folgetag viele Menschen zum freudigen Schlittschuhlaufen trafen. Viele Kleingruppen tummelten sich auf dem Eis – natürlich mit dem gebotenen Abstand zueinander, aber mit breitem Lächeln auf den Gesichtern, der Pandemie-Situation zum Trotz. Man lässt sich die gute Laune eben nicht verderben. Einige Schlittschuh-Neulinge standen etwas nervös am Rand des Eises und mussten sich erst überwinden, die ersten zaghaften Schritte auf die glatte, im Sonnenlicht glitzernde Oberfläche zu wagen. Dem Beobachter mag dabei auffallen: Wo der eine Angst vor dem Ausrutschen empfindet, spürt ein anderer unbeschwerte Freude an der Bewegung.
Nun fragen Sie sich vielleicht, warum wir den aktuellen Newsletter auf diese Weise beginnen. Schließlich soll es doch eigentlich um das Thema Agilität gehen und darum, was es im Management braucht, um „endlich agil“ zu werden. Seien Sie unbesorgt – wir sind bereits mitten ins Thema eingetaucht!
Denn in Bezug auf Agilität, vor allem in Bezug auf ihre Chancen und Risiken, gibt es genauso unterschiedliche Perspektiven wie beim Schlittschuhlaufen. Manch einer bewegt sich schon virtuos im eigenen Ansatz und wird dafür von anderen bewundert, während ein anderer erst den Mut zusammennehmen muss, sich vorsichtig ins Thema hinein zu tasten. Wir wollen daher im Folgenden einige Möglichkeiten mit Ihnen erkunden, die es Neulingen und Interessierten leichter machen können, die ersten agilen Schritte zu machen (und dabei möglichst wenig „auszurutschen“).
Benötigen Sie vorab noch eine Auffrischung darin, was Agilität und agile Führung im Kern ausmachen? Dann empfehlen wir Ihnen zwei unserer bisherigen Blog-Einträge zu diesem Themenbereich:
Im Kern meint Agilität, dass Arbeitsgruppen schnell und effektiv auf Herausforderungen reagieren können, anstatt an starren Plänen festzuhalten (siehe u.a. Harraf, Wanasika, Tate & Talbott, 2015). Besonders in der engen Zusammenarbeit mit Kunden werden Individuen und Interaktionen in den Fokus genommen, Prozessen und Werkzeuge treten hinter sie in die zweite Reihe. Agiles Arbeiten funktioniert vor allem über digitale Software-Lösungen in zeitlich abgesteckten Etappen. Trotz des aktuellen Hypes ist Agilität nicht für jede Arbeitsgruppe eine Wunderlösung, die alle manageriellen Probleme in Wohlgefallen auflöst. Es sollte in jedem Fall abgewogen werden, ob sich der eigene Kontext für die Implementierung agiler Projektmanagement-Strategien eignet. Wenn dies aktuell oder in Zukunft der Fall ist (Anhaltspunkte dazu finden Sie in den verlinkten Blog-Einträgen), können Ihnen die folgenden drei Punkte helfen, mehr Agilität zu wagen.
Punkt 1: Chancen begrüßen und in Bewegung kommen
Sie müssen, wollen und können nicht gleich Ihre gesamte Persönlichkeit verändern, um Agilität in Ihrer Organisationseinheit anzustreben. Wer von Natur aus risikofreudig ist, hat es leichter, Neues auszuprobieren als jemand, der den Dingen eher behutsam entgegengeht. Aber egal, zu welcher der beiden Fraktionen Sie sich eher zugehörig fühlen: Sie sollten sich bewegen! Zurückhaltung kostet Sie nämlich nicht nur die Erfahrung, etwas Neues ausprobiert und damit vielleicht Erfolg gehabt zu haben, sondern mitunter auch bares Geld. Die wirtschaftlichen (und psychologischen) Kosten, die entstehen, wenn der Wandel zu lange hinausgezögert wird, sind höher als diejenigen, die beim „Ausrutschen“ während der ersten Gehversuche aufkommen. Veränderung ist auf Dauer unausweichlich. Das wechselhafte Unternehmensumfeld wird eine Destabilisierung früher oder später erzwingen. Lassen Sie sich daher nicht „aufs Glatteis schubsen“, sondern gehen Sie eigeninitiativ vorwärts! Die folgende Grafik fasst dieses Prinzip auf abstrakte Weise zusammen:
In einer Phase der Stabilität befinden wir uns in der „Komfortzone“, in der Wachstum und Weiterentwicklung unwahrscheinlich ist. Durch eine Veränderung der Umstände (eine „kreative Störung“) wird aber früher oder später ein Umdenken notwendig. Am Punkt der höchsten Instabilität fühlen wir am meisten Unsicherheit, weil das, was wir an gewohnten Lösungsmustern verinnerlicht haben, plötzlich nicht mehr weiterhilft. Nutzen Sie die Chance zum Wandel, wenn Sie sich Ihnen bietet und Sie einen solchen „kritischen Entscheidungspunkt“ erkennen. Gestalten Sie mutig und proaktiv ein neues Muster, statt in gewohnte Bahnen zurückzufallen. Konzentrieren Sie sich dafür auf das, was Sie durch eine Neuausrichtung gewinnen können. Die Risiken dabei, Gewohntes hinter sich zu lassen, sind Ihnen wahrscheinlich ohnehin präsent. Denn viele Menschen spüren in Entscheidungssituationen eine Tendenz, mögliche Verluste stärker zu gewichten als potentielle Gewinne – sogar bei gleichen Eintrittswahrscheinlichkeiten (siehe dazu „Loss Aversion“ nach Kahneman und Tversky, 1979). Verfallen Sie nicht dem „Tunnelblick“, sich nur auf die Schattenseite der Medaille zu fokussieren. Widerstehen Sie der Versuchung von „Das haben wir doch immer schon so gemacht“.
Punkt 2: Fehler als Lernmöglichkeiten erkennen, kreative Lösungsvorschläge honorieren
„Fehler sind Lernmöglichkeiten“ – diese vielfach ausgesprochene Weisheit kennen Sie bereits. Aber hinter der Floskel steckt etwas Wichtiges für alle, die erste Schritte beim agilen Arbeiten gehen möchten: Ein Perspektivwechsel von der Problemorientierung zur Lösungsorientierung. Ohne diesen Wechsel funktioniert das Lernen nach „Trial and Error“ nämlich nicht. Vorhersehbare Fehler sind niemals gewollt und sollten tunlichst vermieden werden. Wenn Misserfolge jedoch beim Ausprobieren in einem akzeptablen Rahmen passieren, ist das schlichtweg menschlich und der Ungewissheit einer neuen Situation geschuldet, für die es noch keine Best Practice-Lösung gibt. Sie bieten Anlass, die Beteiligten „an die Hand zu nehmen“, ihnen verhaltensbezogenes Feedback auszusprechen und sie zielführend anzuleiten, anstatt sie lediglich zu tadeln. Wenn die Teammitglieder darin vertrauen, dass ihnen und ihrer Arbeit grundsätzlich Wertschätzung und Interesse entgegengebracht wird, steigt die Wahrscheinlichkeit, dass sie Fehler aus intrinsischer Motivation heraus aufarbeiten, den Mut haben, kreative Lösungsvorschläge zu äußern und den Wandel mittragen, statt sich ihm in den Weg zu stellen. Was Sie tun können, um ein solches Klima der „psychologischen Sicherheit“ im Arbeitskontext zu fördern, erfahren Sie in unserem Blog-Eintrag „Führung im ‚agilen Klassenraum‘ – Eine Frage des Sicherheitsgefühls“.
Ist Ihnen der zweite Punkt noch zu abstrakt? Erinnern Sie sich an die Erfahrungen, die Sie als Kind mit Ihren Eltern, Lehrerinnen und Lehrern oder anderen zentralen Personen Ihrer Lerngeschichte gesammelt haben: Ganz sicher hatten Sie mehr Freude beim Ausprobieren jener Aktivitäten oder Hobbys, die ihnen schrittweise und mit Lob für kleine Erfolge nähergebracht wurden.
Punkt 3: Wissensaustausch anregen, Transparenz und Partizipation fördern
Der dritte Punkt dreht sich gänzlich um das Thema Kommunikation. Das „Was“ und das „Wie“ ist hier besonders relevant. Was in jeder Arbeitsgruppe kommuniziert werden sollte, ist eine Vision. Wenn Führungskräfte ein Bild vom Endzustand zeichnen können, welches mitreißend wirkt und einen gemeinsamen Nutzen aufzeigt, hält das die Motivation der beteiligten Mitarbeitenden auch über längere Projektzeiträume aufrecht. Spezifische, terminierte und damit wirksame Zwischenziele¹ sind notwendig, um die Vision in handhabbare Etappen zu unterteilen und realistische Aufgaben abzuleiten. Die Aufgaben brauchen wiederum konkrete Verantwortlichkeiten, wer sie auf welche Weise ausführen soll.
Wie sollen die Vision, Zwischenziele, Aufgaben und Verantwortlichkeiten kommuniziert werden? Die Antwort darauf ist: Transparent! Absprachen und Fortschritte sollten für alle Teammitglieder einsehbar und nachvollziehbar sein (siehe u.a. West, 2018). Die Führungskraft steht hier in der Verantwortung, Unklarheiten aufzulösen und Teilerfolge mit den Mitarbeitenden zu feiern. Collaboration-Tools wie Asana oder Trello helfen dabei enorm. Sobald alle Beteiligten fit im Umgang mit diesen Werkzeugen sind, kann sich eine spürbare Verbesserung des Informationsflusses einstellen.
Nun, da Sie Hinweise bekommen haben, wie Ihre ersten Schritte in Richtung Agilität gelingen können, laden wir Sie ein, schriftlich und möglichst konkret zu reflektieren: Was habe ich schon, was mir bei der Implementierung einer agilen Strategie hilft? Was braucht es aus meiner Sicht noch dafür?
Die Ausstattung mit diesem Wissen hilft vielleicht schon dabei, Ihnen die Angst vor dem Ausprobieren zu nehmen. Sie können, wenn Sie es sich fest vornehmen, nach anfänglichem Straucheln virtuos mit Ihren Teamkolleginnen und Kollegen über das „agile Eis“ gleiten und dabei eine gute Figur machen. Wer weiß – vielleicht macht es Ihnen sogar Spaß? Das Team von KellerPartner wünscht es Ihnen herzlich und steht auf Wunsch jederzeit mit Rat und Tat zur Seite.
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Wir freuen uns auf Ihre Erfahrungen mit agilem Arbeiten und bedanken uns für Ihr Interesse!
Jan-Hendrik Wiskemann mit Prof. Dr. Daniel Keller für Keller Partner
Titelbild: Foto von Pexels